Die 5 Phasen zur erfolgreichen Eingewöhnung eines neuen Rudelmitgliedes

von Simone Fasel, lic. phil.

Zuhause mit einer ganzen Hundetruppe komplett harmonisch zusammenzuleben ist für viele ein Traum: die Hunde werden zu Freunden, spielen miteinander und alle zusammen bilden eine eingeschworene Gesellschaft.

Doch damit dies so tatsächlich zur Wirklichkeit werden kann, ist vor allem die Eingewöhnung eines neuen Rudelmitgliedes von entscheidender Bedeutung.

Seit 25 Jahren sind wir selber Rudelhalter und hielten immer zwischen zwei bis sieben Hunde verschiedenster Mischungen und Rassen - wobei viele der Hunde in Notfallsituationen als Problemfälle (und Begleiter auf Zeit) zu uns stiessen und nach einem Verhaltenstraining in ihre neuen Familien gezogen sind.

In diesem Blog stellen wir dir vor, welche Phasen der Eingewöhnung eines neuen Rudelmitgliedes sich als am erfolgversprechendsten erwiesen haben.

Die wichtigste Regel zuvor oder ein Mythos der Hundehaltung

Häufig werden wir gefragt: wie gestaltet man am besten das erste Treffen von neuem und alteingesessenen Hunden? Die Antwort darauf lautet: GAR NICHT.

Es ist ein absoluter Mythos, dass sich Hunde direkt treffen müssten. Und wir raten dir dringend davon ab, nach der Methode "auf neutralem Boden zusammenbringen, dabei bleiben und beten!" zu verfahren. Statt eines direkten Treffens profitieren alle Hunde des Haushaltes davon, dass du sie gezielt Schritt für Schritt aneinander gewöhnst (lies weiter, um genau zu erfahren, wie du am besten vorgehst).

Sei nicht gestresst und überstürze nichts - du hast nun ja viele Jahre der Rudelhaltung vor dir, da muss nicht alles im ersten Moment geschehen.

Nicht selten hört man den Einwand „ich habe seit 30 Jahren Hunde und habe sie immer gleich zusammengebracht, da braucht man kein solches Theater zu machen!“.

Tatsächlich ist es folgendermassen: die Mehrheit der Hunde aus dem gleichen Haushalt gewöhnen sich früher oder später und mehr oder weniger aneinander.

Es gibt jedoch einen Zusammenhang zu einem der häufigsten Problemverhalten, welchen viele Hundehalter übersehen. Superviele Hundehalter kennen das Problem: beim Spaziergang kommt ein anderer Hund entgegen und der eigene Hund gebärdet sich wie wild.

Gar nicht so selten sind die Anfänge dieses Problems bei Mehrhundehaltern hausgemacht. Denn gerade für Welpen sind alle Begegnungen sehr einprägsam und besonders eine erste Begegnung mit einem neuen Hund bleibt im Gehirn haften. Selbst wenn dein alteingesessener Hund sich vielleicht aus Hundesicht korrekt verhält und den Welpen „nur mal für aufdringliches Verhalten korrigiert“, hat dein Welpe dabei ein negatives Erlebnis mit einem (aktuell noch) fremden Hund verknüpft. So werden Probleme mit anderen Hunden angebahnt.

Zudem trifft man auch immer noch auf eine ganze Menge an „Zuhause gesucht - Inseraten“, bei denen der Abgabegrund ist, dass sich die Hunde halt doch nicht irgendwann miteinander arrangiert haben, sondern sich gar nicht oder unzureichend aneinander gewöhnt haben.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die noch nicht fertig entwickelten Gelenke bei Welpen und jungen Hunden. Eigentlich achtet man darauf, die noch weichen Gelenke nicht zu überlasten... wenn der Welpe dann aber im Rudel direkt mit den erwachsenen Hunden konfrontiert ist, die noch nicht an ihn gewöhnt sind und in seiner Anwesenheit eher aufgeregt sind (oder sich aufregen😉), nimmt man das Risiko in Kauf, dass die Welpengelenke bei Spielversuchen und „Erziehungsmassnahmen“ des Rudels wesentlich massiver belastet werden als dies bei jedem Hochspringen etc. der Fall wäre.

Viele engagierte Hundetrainer probieren zu erreichen, dass Fotos von Kindern, die auf Hunden herumkrabbeln etc. nicht mehr als „süss“ empfunden werden. Die gleichen Bemühungen müssten auch gemacht werden bei Welpen, die den alteingesessenen Hund bedrängen. Keiner der beiden beteiligten Hunde lernt dabei etwas Sinnvolles und es ist wichtig, dass wir hier die Initiative ergreifen und dies von vornherein verhindern.

Der alteingesessene Hund sollte sich nichts „gefallen“ lassen müssen, sondern wir sollten beide Hunde so aneinander gewöhnen, dass sie zu einem eingespielten Team werden - ohne gegenseitig für Stress und Frust zu sorgen.

Die 5 Phasen

Indem du deine Hunde phasenweise immer mehr aneinander gewöhnst, erreichst du, dass die Hunde das lernen, was du selber für wünschenswert hältst: dass sie in Gegenwart des anderen eine entspannte Stimmung entwickeln und es trotz dem Hundekollegen schaffen, auf dich konzentriert zu bleiben.

Diese 5 Phasen eigenen sich sowohl, wenn du einen Welpen aufnehmen möchtest, als auch, wenn ein bereits erwachsener Hund dazu kommen soll.

Phase 1: Die Hunde lernen sich geruchlich kennen

Im Idealfall beginnt Phase 1 noch bevor dein neuer Hund einzieht: mache dein zukünftiges Rudel bereits geruchlich miteinander bekannt. Bringe z.B. nicht nur deinem Züchter eine Decke für deinen Welpen mit, sondern bitte ihn auch darum, dir eine Decke mit dem Geruch der Welpen für deine Hunde daheim mitzugeben.

Lege Zuhause die Decke hin und streue ein paar Leckerchen darauf, dein Rudel verknüpft so den Neuen bereits positiv - noch bevor es ihn das erste Mal getroffen hat.

Hunde leben in einem Paralleluniversum der Gerüche - und nicht nur bei ihnen sind Gerüche eng mit Emotionen verknüpft. Indem du die Hunde also bereits geruchlich positiv miteinander bekannt machst, bevor dein neuer Hund überhaupt einzieht, hast du euch alle bereits auf Erfolgskurs gebracht.

Wenn du dann den neuen Hund in dein Zuhause bringst, bedeutet dies sehr viel neuen Input für den Hund. Schon allein aus diesem Grund ist es wesentlich besser, wenn er sich nicht auch gleich noch mit einem ganz neuen sozialen Gefüge auseinandersetzen muss. Gib dem Neuling also einfach mal die Zeit, „nur“ in Ruhe anzukommen und trenne die Hunde räumlich noch komplett (sorge auch dafür, dass die alteingesesseneren Hunde den „Neuen“ nicht mit Bellen erschrecken (sollte dies nicht möglich sein, ist es evt. für 1-2 Tage die beste Idee, wenn du die „alten Hasen“ bei ihrem Lieblingssitter unterbringst)).

Nach einem halben bis einem ganzen Tag kannst du damit beginnen, die Hunde in den leeren Raum zu bringen, in dem vorher der Hundekollege war, so dass sie den Raum ausgiebig abschnüffeln können. (Passe beim Raumwechsel auf, dass es noch kein Zusammentreffen gibt).

Phase 2: gemeinsames Training

Für Phase 2 brauchst du einen möglichst grossen Raum und eine Variante, diesen Raum so zu unterteilen, dass die Hunde sich sicher fühlen und sich sehen können. Du kannst dafür z.B. Kindergitter verwenden oder im Fachhandel sogenannte Welpengitter kaufen. Achte unbedingt darauf, dass du die Gitter stabil befestigen kannst.

Du selber bist mit dem angeleinten Neuankömmling auf der einen Seite des Gitters und dein alteingesessener Hund ist bei deinem Helfer an der Leine. Probiert dabei soviel Distanz wie möglich zueinander zu haben.

Jeder Hund übt nun mit seinem Menschen: ideal geeignet sind dafür z.B. das ruhige Liegen auf einer Decke oder ein Handtarget. Auch wenn die Hunde auf diese Weise auf den jeweiligen Menschen konzentriert sind, bemerken sie natürlich trotzdem die Anwesenheit des anderen. Du hast aber eine ideale Situation geschaffen: anstatt, zu lernen, sich aufgeregt auf den jeweils anderen zu stürzen, verknüpfen die Hunde die Anwesenheit des Kollegen mit etwas Angenehmen (Leckerchenkriegen beim Menschen) und üben sich darin, eine ausgeglichene Stimmungslage in Anwesenheit des anderen zu haben.

Du hast also genau das erreicht, was du haben möchtest.

Wiederhole solche Übungssession so oft wie möglich und trenne die Hunde in der Zwischenzeit nochmals so wie nötig, zumindest so, dass sie nicht zueinander hinkommen und sich auch nicht sehen können, evt. auch so, dass sie sich nicht hören können.

Wenn es durch die Wiederholungen so ist, dass die Hunde auf ihrer Seite der Raumunterteilung während den Trainingseinheiten mit "ihrem" Menschen komplett entspannt sind, kannst du beginnen, die Hunde auch ausserhalb der Übungssessions in ihrem „Raum - Teil“ sich frei bewegen zu lassen (du musst dich darauf verlassen können, dass die Raumunterteilung robust ist und im Notfall hält! Sei immer aufmerksam und lasse die Hunde in dieser Phase nie alleine. Bringe die Hunde (kurzfristig) nochmals in separaten Räumen unter, wenn sie zu aktiv werden sollten oder du dir unsicher wirst, was ein bestimmtes Verhalten oder eine spezifische Körperhaltung der Hunde bedeutet. 

Du kannst es für einige Zeit zusätzlich so halten, dass du dich besonders neutral gegenüber deinem alteingesessenen Hund verhältst, wenn der „Neuzuzüger“ nicht anwesend ist und wenn die beiden zusammen im gleichen Raum (mit Raumunterteilung) sind, spendierst du extra viele Leckerchen und Streicheleinheiten. So wird dein Althund sehr schnell den „Wert des Neuen“ erkennen😉.

Phase 3: Paralleles Spazieren

Nun geht es einen Schritt weiter: die Hunde werden ihr gegenseitiges Verhalten und ihre Körpersprache noch besser kennen lernen und sich daran gewöhnen, auch dann die Selbstbeherrschung zu wahren, wenn sich der andere aktiver bewegt (viele Hunde reagieren auf sich bewegende Reize - es macht deshalb Sinn, dass du dies gezielt übst).

Haben sich die Hunde in Phase 2 schon soweit aneinander gewöhnt, dass sie entspannt im gleichen Raum (noch durch Gitter getrennt) zusammen sind, beginnt man nun damit, gemeinsam - parallel - zu spazieren. Es ist nicht das Ziel, die Hunde nun an der Leine zueinander hin zu lassen, sondern, dass sie sich aus einer gewissen Distanz (ca. 20 m - je nach Hundetyp, etwas mehr oder weniger) an die Bewegungen und Verhaltensweisen des anderen gewöhnen. Jeder Hund wird von einer Bezugsperson gehalten und kann dafür gemarkert werden, wenn er den anderen anschaut und dann daraufhin gleich so gefüttert werden, dass er lernt, seinen Blick auch wieder abzuwenden.

Wähle den Spaziergang so, dass die Hunde entspannt schnüffeln können und sich so weiter daran gewöhnen, in Anwesenheit des Hundekumpanen gelassen zu sein und ihren Fokus zwischen dem Menschen, dem anderen Hund und der Umgebung hin- und her wechseln zu können.

Phase 4: Der alteingesessene Hund läuft frei

Wenn das parallele Spazieren komplett entspannt verläuft und die Hunde es nicht mehr nötig haben, sich dauernd im Auge zu behalten, sondern im Idealfall alles sogar etwas langweilig geworden ist - dann kannst du zu Phase 4 übergehen.
Auch für Phase 4 solltest du nochmals einen Helfer haben. In dieser Phase beginnt man, den alteingesessenen (und hoffentlich schon möglichst gut trainierten Hund) frei laufen zu lassen.

Scheinbar zufälliges Schnüffeln von "Lillebror"...

Es ist auch in dieser Phase wichtig, die Hunde dafür zu belohnen, zu ihrem "Begleit"menschen zu schauen, auf Signale zu reagieren bzw. sich zum Beispiel mit Schnüffeln zu beschäftigen.

Es ist keinesfalls nötig, einen direkten Kontakt selber herbeizuführen, sondern absolut bestens, falls die Hunde einfach in etwas Distanz schnüffeln. 

Phase 5: Beide Hunde sind frei

Indem du nun diese Vorarbeit geleistet hast, hast du für Phase 5 ideale Erfolgschancen geschaffen: nun kannst du das erste Mal beide Hunde frei zusammenbringen. Sollte dich dieser Gedanke noch etwas nervös machen, zögere nicht, nochmals Zeit in die früheren Phasen zu investieren.

Für Phase 5 brauchst du einen neutralen Bereich, in dem sich nun beide Hunde frei begegnen können. Wichtig ist, dass die Hunde weder zu eng beieinander sein müssen, noch, dass sie allzu viel Tempo entwickeln würden, wenn sie beginnen, miteinander zu spielen (der Bereich sollte also weder zu klein, noch zu gross sein). Achte darauf, dass nichts herumliegt, was einer der beiden Hunde als „Besitz“ betrachten könnte. Super ist es hingegen, wenn der Bereich etwas strukturiert ist, also wenn es z.B. Büsche hat, sodass die Hunde nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Gegenüber richten müssen.

Wähle einen passenden Moment, in dem beide Hunde in möglichst ausgeglichener Stimmung sind (beide sollten sich schon vorher genügend bewegt und eine Mahlzeit gehabt haben (die Mahlzeit nicht allzu kurz vor dem Zusammentreffen) - es ist ein bisschen wie bei uns Menschen: nach einem schönen Ausflug und einem guten Essen ist man in zufriedener Stimmung😉).

Halte das Zusammentreffen kurz und beende es, wenn alle Beteiligten noch entspannt sind. So erreichst du, dass die Hunde sich gegenseitig als „positiv und nicht allzu aufregend“ abspeichern - beste Voraussetzungen für euer weiteres Zusammenleben. 

Über mehrere Wiederholungen hinweg, kannst du die Dauer des gemeinsamen Zusammenseins ohne Leine immer weiter verlängern und schliesslich das Ganze auch nach drinnen verlegen (hier auch nochmals: räume alle möglichen Ressourcen weg).

Zusammenfassung - Checkliste für Phase 5:

Die Hunde haben alle 4 Phasen erfolgreich absolviert und sind entspannt in Abwesenheit des anderen

Die Hunde hatten an diesem Tag schon Gelegenheit, sich genügend zu bewegen und sind nicht hungrig

Ein neutraler Ort, nicht zu gross und mit etwas natürlicher Struktur (Büsche, etc.) steht zur Verfügung

Es sind keine Ressourcen (Fussball, verbuddelter Kauknochen...) vorhanden

Das Zusammentreffen wird kurz gehalten und nur über mehrere Einheiten hinweg verlängert

Teilweise wird befürchtet, dass eine solche (wie in den obigen Phasen beschriebene) konfliktfreie Zusammenführung verhindern würde, dass die Hunde lernen, miteinander zu kommunizieren. Aus über 25 Jahren Rudelhaltererfahrung können wir schon mal versichern, dass diese Befürchtung absolut unbegründet ist. Hunde lernen die so wichtige subtile innerartliche Kommunikation bestens im Umgang mit ihnen bereits vertrauten Hunden.
Auch im menschlichen Bereich würden wir nicht annehmen, wir würden nur lernen, miteinander zu kommunizieren, wenn man mal ordentlich aneinander gerät.

Wie lange dauert die Zusammenführung?

Je nach Hundetypen, die zusammengeführt werden sollen, können diese Phasen sehr unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Bei den einen Hunden geht es darum, positive Verknüpfungen mit dem neuen Hund aufzubauen und Aggressionen so zu verhindern. Bei anderen Hundetypen geht es eher darum, dass sie lernen, sich zu beruhigen und mit dem Mitbewohner sanft umzugehen.

Hat man einen eher ruhigen, sozial verträglichen Althund und einen Welpen einer eher ruhigen Rasse, ist es möglich, dass die 5 Phasen bereits in zwei bis drei Tagen erarbeitet sind.

Hast du jedoch einen nicht ganz so verträglichen alteingesessenen Hund und willst einen eher aktiveren Zweithund eingewöhnen, können sich diese Phasen über mehrere Wochen erstrecken.

Hast du bereits ein grösseres Rudel, ist es sinnvoll, die Phasen mit einzelnen "Paaren" zu erarbeiten. Evt. gibt es kleinere Grüppchen, die du zusammen nehmen kannst (dies könnten z.B. zwei ruhigere, ältere Hunde sein, die du an einen ruhigen Neuankömmling aus dem Tierheim gewöhnst).

Die Hunde werden immer dafür belohnt, gute Entscheidungen zu treffen.

Du kannst dir jedoch ganz sicher sein: lohnen tut sich der Zeitaufwand auf alle Fälle. Denn dein Ergebnis wird maximal besser sein, als wenn du den Zufall zu sehr hättest mitspielen lassen. Garantiert ist es zudem weniger zeitaufwändig als Problemverhalten managen und umtrainieren zu müssen, welches durch eine zu schnelle Zusammenführung entstanden ist. UND vor allem wirst du nicht in die Lage geraten, dich wegen rudelinternen Unverträglichkeiten von einem geliebten Hunde-Familienmitglied trennen zu müssen.

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